Mit dem am 12.05.2017 veröffentlichten Beschluss vom 29.03.2017 (Az. 2 BvL 6/11) erklärte das Bundesverfassungsgericht die Regelung zur Kürzung von Verlustvorträgen bei Kapitalgesellschaften (§ 8c Abs. 1 Satz 1 KStG) wegen eines Verstoßes gegen den Gleichheitssatz für verfassungswidrig. Das Gericht gibt dem Gesetzgeber jedoch die Chance, bis Ende 2018 rückwirkend eine verfassungsmäßige Regelung zu schaffen. Was bedeutet dies für die Praxis?

Ab sofort sollten alle Steuerbescheide (insb. Verlustfeststellungsbescheid bei einer GmbH oder AG) mit Einspuch angefochten werden, wenn es wegen eines Anteilseignerwechsels von mehr als 25% zu einer Kürzung der Verlustvorträge gekommen ist.

Das Gericht lässt erkennen, dass es Fälle wie etwa den früheren sog. Mantelkauf geben kann, in dem möglicherweise eine Kürzung der Verlustvorträge gerechtfertigt ist. Insoweit muss abgewartet werden, wie eine gesetzliche Neuregelung ausfällt. Bei einem „normalen“ Anteilseignerwechsel einer weiterhin aktiv tätigen Kapitalgesellschaft sollten hingegen die Verlustvorträge erhalten geblieben sein. Auch bei einem Wechsel der Anteilseigner von mehr als 50% wird man nicht so sicher sein können. Ferner hat das Gericht es ausdrücklich offen gelassen, ob seit Einführung des nur schwer anwendbaren § 8d KStG rückwirkend ab 01.01.2016 etwas anderes gilt. Davon sollten sich jedoch Betroffene nicht abhalten lassen, große Hoffnung zu schöpfen.

Insbesondere Anteilseignerwechsel in der Anlaufphase von start-up Unternehmen könnten entscheidend von dem Beschluss des Gerichts profitieren. Allerdings kann sich nun auch die Situation ergeben, dass die vor Anteilsverkäufen vorgenommene Bewertung rückwirkend betrachtet ganz anders aussieht. Verkäufer, die wertmäßig wegen der vermuteten Wertminderung von Verlustvorträgen einen zu geringen Kaufpreis bekommen haben, werden wenig begeistert sein, zumal es kaum entsprechende Vorsorge in Anteilskaufverträgen gegeben haben dürfte, die nun noch eine nachträgliche Kaufpreiskorrektur zulassen würden. Bei künftigen Anteilsverkäufen wird man die neue Rechtslage berücksichtigen müssen.

Dr. Wolfgang Walter ist Rechtsanwalt, Steuerberater und Fachanwalt für Steuerrecht bei der auf Transaktionen, Investments und Tax Compliance spezialisierten Steuerkanzlei TAXGATE und kommentiert die Organschaftsvorschriften in dem KStG-Kommentar aus dem Stollfuß-Verlag.

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